Bianca Fischer

Wenn du dich schon einige Zeit mit dem Gedanken beschäftigst, dich Selbstständig zu machen, dann bist du auf Instagram und Co. in den Profilen, Stories und Reels einiger (Erfolgs-)Coaches sicher schon mal auf einer oder mehrere der folgenden Aussagen gestoßen:

- "Der wichtigste Tipp, wenn du ein Multi-Million-Dollar-Biz aufbauen willst: lass dein altes Leben hinter dir! Brich den Kontakt ab, zu allen Menschen, die deinen Weg nicht mitgehen - auch wenn es deine Familie ist"
- "Als ich mein Business aufgebaut habe, musste ich mich von meinen Freunden verabschieden und habe mich von meinem Partner getrennt. In den ersten Jahren muss dein Business die oberste Priorität haben - zwischenmenschliche Beziehungen können dich blockieren."
- "Es ist einfacher, ein erfolgreiches Business hochzuziehen, wenn du keinen Partner hast."


Ich bin jetzt seit ziemlich genau 3 Jahren selbstständig - davon 1 Jahr hauptberuflich.

Und solche Aussagen haben mich lange Zeit wahnsinnig verunsichert.

Ich hatte furchtbare Angst, dass ich meine liebevolle und stabile Beziehung aufgeben, meinen Partner (und baldigen Ehemann) verlassen MUSS um erfolgreich sein zu können (dabei sei einfach mal dahingestellt, was Erfolg eigentlich ist).

Das hat mich so belastet, dass ich echt zum Teil tagelang tieftraurig war, weil ich dachte, nicht BEIDES haben zu können: berufliche Selbstverwirklichung und den Menschen, der mir das Wichtigste auf der Welt ist.

Gefühlt stand ich damit vor der Wahl, meine Beziehung zu behalten aber beruflich ins Unglück zu rennen. Oder als Geschäftsfrau erfolgreich zu werden, aber mein privates Glück (für das ich viele Jahre vor allem mit mir selbst kämpfen musste) aufzugeben.

Du kannst dir vorstellen: das fühlt sich unfassbar scheisse an.

Nun bin ich aber ein wenig "speziell" gestrickt - manche sagten mir schon, ich hätte ein Problem mit "Authorität" ;) - denn ich kann es ÜBERHAUPT nicht haben, wenn jemand mir zu sagen versucht, wie mein leben zu laufen und auszusehen hat.

Da fahr´ ich meinen Stachel aus.

Mit der Zeit wandelte sich so meine Verunsicherung und meine Trauer in: Wut, Trotz und Rebellion.

Denn NEIN!

1. Ich werde diesen wundervollen Menschen und mein privates Glück NICHT aufgeben, weil irgendeine "Million-Dollar-Goddess" im Internet predigt, das wäre der Weg zum Businesserfolg.

Im Gegenteil: ohne den emotionalen Rückhalt meines Partners, könnte ich das alles SO gar nicht machen.

2. Ich werde NICHT wieder eine berufliche Richtung einschlagen, von der ich aus Erfahrung bereits weiß, dass sie mich psychisch krank macht, weil man angeblich "mit Partner und Familie im Rücken kein erfolgreiches Business aufbauen kann".

Das ist generell ein Problem, das ich mit der Coaching-Szene habe - obwohl ich ihr selbst angehöre:

Der häufig vertretene "Absolutheits"-Anspruch, den einige meiner Kolleg*innen hier vertreten. Als wäre IHR Weg der einzig Wahre und Richtige, und alle die nicht auf den Zug aufspringen "wollen es nur nicht genug" , "sind noch nicht aufgewacht" oder "haben das falsche Mindset". Aber das führt hier heute zu weit ;)

Kommen wir also zum Kern des heutigen Blogposts: wie erlebe ich das die letzten 3 Jahre?

Der "Feind in meinem Bett" ist mein "Partner in Crime"!

Phase 1: Selbstständig neben dem Job
In meine Selbstständigkeit als Jobcoach und Teil des Teams von Edle Räume bin ich 2021 irgendwie "so reingerutscht". Mein Vater band mich damals immer mehr in seine Unternehmen ein und wir machten irgendwann eine Art 450€-Job daraus.

Über meine steigende Bekanntheit auf LinkedIn durch meine Posts rund um Recruiting und Erfüllung im Job, knüpfte ich Verbindungen, kam mit meinen heutigen Mentor*innen in Kontakt und bekam irgendwann auch Anfragen für Problemstellungen im Job.

Und so entwickelte sich das ganze seeehr langsam, bis zu einem Punkt, an dem ich zusätzlich zu meinem 40h-Job fast jeden Abend in Calls oder Webinaren verbrachte, Konzepte und Zusammenfassungen schrieb, Content produzierte...

Bis mein Partner Ende 2022 die gelbe Karte zog.

"HAH! Da ist er ja, der Beweis!" höre ich sie schon rufen. Der Beweis, dass einen eine Partnerperson nur ausbremst.

Stimmt in dem Fall sogar.

Aber es war das BESTE, was er hätte tun können. Denn trotz aller Freude an meinem Business war ich müde, getrieben, gestresst und überhaupt nicht mehr präsent im echten Leben und in unserer Beziehung.

In meinem Streben nach Freiheit für uns beide, hatte ich unsere Beziehung und auch mein eigenes Wohlbefinden soweit ins Abseits geschoben, dass ich uns immer näher an einen psychologischen Abgrund manövriert hatte.

Nicht nur in Bezug auf unsere Beziehung - auch in Bezug auf mich selbst.

Und ganz ehrlich: hätte ich ihn an diesem Punkt nicht gehabt, wäre ich wahrscheinlich "lachend in die Kreissäge" gelaufen.

Ja, er hat mich ausgebremst. Aber nicht, weil er mich aufhalten wollte oder nicht an mich geglaubt hat. Sondern weil er im Gegensatz zu mir sah, was da gerade passierte und er mich und uns als Paar schützen wollte.

Und dafür bin ich ihm wahnsinnig dankbar. Denn manchmal brauchen wir jemanden, der auf uns aufpasst, weil wir selbst vor lauter Tunnelblick den Sattelschlepper, der von Links kommt, völlig übersehen.

Phase 2: Der Sprung
Nach diesem Gespräch fing ich also an zu überlegen: was muss sich ändern und wie bekomme ich das hin?

Die Entscheidung wurde mir nur ein paar Wochen später von meinem damaligen Arbeitgeber abgenommen: betriebsbedingte Kündigung.

Anstatt geschockt zu sein, war ich vor allem eines: erleichtert.

Zumindest kurzzeitig. Auf einmal war die ganze Last weg, ich fühlte mich frei.

Und dann kam die große Frage: was jetzt? Und ein tiefes schwarzes Loch...

Ziemlich schnell war klar:

1. Ich gehe nicht wieder in eine Vollzeitanstellung
2. Ich gehe voll in die Selbstständigkeit
3. Ich brauche eine Gründungszuschuss

Ich hatte die volle Rückendeckung meiner Beraterin in der Agentur für Arbeit. Mein Partner hatte nur einen Wunsch: "Mach etwas, womit du wieder glücklich bist!".

Ich wusste: Coaching und Beratung it is!

Der einzige Haken: ich wusste auch, dass mein Partner nicht besonders viel von Coaches hält.

Coaches, das waren für ihn schmierige Typen, die peinliche Youtube-Ads mit gemieteten Ferraris in Dubai schalteten und schreiend über große Bühnen sprangen, während sie verzweifelten Menschen die Altersvorsorge aus der Tasche zogen.

Ich konnte es ihm nicht verübeln.

Gleichzeitig stand genau DAS plötzlich wie eine unsichtbare Wand zwischen uns (im Nachhinein hab ich erfahren, dass das nur ich so empfunden habe XD ).

Ich hatte Angst, mit ihm über meine Pläne zu reden und ... verstummte.

Er wusste, ich mache ein Gründungscoaching, er wusste, ich kümmere mich um die Finanzierung (über Geld konnten wir zum Glück immer reden). Aber ich habe mich fast 2 Monate lang nicht getraut, ihm zu erzählen, was genau ich eigentlich vorhabe.

Diese 2 Monate waren für mich die Hölle.

An dem Tag schließlich, an dem ich mich beim Arbeitsamt offiziell abgemeldet habe um den Gründungszuschuss zu beantragen, saß ich nach dem Termin eine halbe Stunde im Auto und hab geheult wie ein Schlosshund.

Ich hatte solche Angst, dass mein Partner wütend sein würde, dass er mich nicht unterstützen würde. Ich hab meinen Mentor Björn angerufen und im die Ohren vollgesabbelt (danke an dieser Stelle nochmal!).

Dann bin ich nachhause gefahren und hab zum ersten Mal seit Wochen meine "Muschelschale" geöffnet. Und siehe da: keine Kritik, keine Verachtung, kein Hohn. Nur starke Arme, Trost, Neugierde, Interesse, und grenzenlose Unterstützung.

Ich war so erleichtert, dass ich zum zweiten mal in Tränen ausgebrochen bin, an diesem Tag.

Eines habe ich aus dieser Episode gelernt und mir geschworen: ich werde mich meinem Partner gegenüber nicht mehr einigeln. Denn er ist mein stärkster Support.


Phase 3: One year in - ein Zwischenfazit
Seit diesem Tag ist mittlerweile ein Jahr vergangen.

Ein Jahr mit vielen Höhen, aber auch einem "Beinahe-Burnout". Ich habe noch viel zu lernen, gerade im Vertrieb und im Marketing.

Ich liebe die Arbeit mit meinen Gründer:innen und meinen Geschäftspartner:innen. Ich liebe die Entscheidungsfreiheit. Ich liebe das Sicherheitsgefühl, das mir mein Nebenjob (jaaaa so einen habe ich, dazu gibt´s auch mal einen Beitrag) gibt. Ich liebe die Monate, in denen meine Umsätze so hoch sind, dass mein altes "Angestellten-Ich" nur staunen kann.

Aber es gibt halt auch die Schattenseiten: ich bringe mich immer wieder an den Rand der Überarbeitung, weil ich zu selten "Nein" sage vor lauter Begeisterung - und das obwohl ich sehr gut darin bin, anderen Wege zu zeigen, wie sie genau das nicht tun.

Ich tanze oft auf zu vielen Hochzeiten. Ich habe mehr Ideen, als ich verarbeiten kann, was bisweilen sehr belastend ist. In manchen Monaten ist der Umsatz weit von dem entfernt, was ich brauche und möchte.

Aber es gibt keinen Weg zurück für mich, denn ich war seit Jahren auch nicht mehr so glücklich wie jetzt.

Und das hätte ich SO ohne meinen Partner, der auch mal auf mich aufpasst, mit dem ich Ideen brainstormen kann, der kritisch hinterfragt und auch eigene Ideen einbringt, der meine Website baut und mich auf Dinge hinweist, die ich gar nicht auf dem Schirm hatte, definitiv nicht hinbekommen.

Phase 4: Was das nächste Ufer bringt...

Weiß niemand. Ich schon gar nicht.

Denn nein: nach einem Jahr hauptberuflicher Selbstständigkeit bin ich noch nicht 6-stellig. Ich bin weit davon entfernt. Auch weil ich die Art von Angst- und Gier-Marketing, die in der Coachingbranche verbreitet sind absolut ätzend finde und entsprechend nicht betreiben will und kann (auch wenn ich genau weiß, dass das ziehen würde).

Aber eines weiß ich: ich werde niemals meine Familie oder die Beziehung zu meinem Fast-Mann für mein Business opfern.

Das muss ich auch gar nicht denn:

Wir machen das gemeinsam - als Team.

So wie wir gemeinsam unser Studium und seine Promotion gemeistert haben, 3 Jahre Pandemie und meine zum Teil extremen beruflichen und psychischen Krisen. So wie wir meine chronische Erkrankung meistern.

Denn wir sind eine Familie. Wir sind Partner - privat und im Business.

Mein Fazit heute

Der "Feind in meinem Bett" ist vor allem mein "Partner in Crime" - größter Erfolgsfaktor in meiner Selbstständigkeit und mein Fels in der Brandung.

Vielleicht verdiene ich irgendwann Millionen für uns (wär geil, will ich nicht abstreiten). Vielleicht reicht es einfach "nur" für ein ruhiges, weitestgehend sorgenfreies Leben mit ab und an ein wenig Luxus.

Das allein wäre schon ein so unfassbares Privileg, das den meisten Menschen auf dieser Welt verwehrt bleibt.

Der wirkliche Erfolg für mich wird deshalb immer sein: wir sind glücklich.

Ich bin mir absolut sicher: privates Glück und erfolgreiche Businessaufbau gehen zusammen.

Wenn man den richtigen Menschen an seiner Seite hat.

One more thing:

Ich kann, will und werde dir nicht vorschreiben, wie du dein Leben zu führen oder dein Business aufzubauen hast.

Nur Folgende Impulse will ich dir mitgeben:

- Werde dir klar darüber: was ist wirklich wichtig für dich?

- Befolge nicht einfach die Aussagen irgendwelcher Gurus. Auch meine nicht ;)

- Schau, was dein Inneres dir sagt. Denn in diesem Fall ist das das Einzige, was zählt.

Bis zum nächsten Mal,
Deine Fischfleischgurke

Februar 21, 2024 |